Der Beginn eines neuen Schuljahres ist die Zeit der Veränderungen: Kinder und Jugendliche sind nicht nur gewachsen und greift, sondern auch in die nächste Klassenstufe vorgerückt. Klassenlehrer:innen wechseln, geplant von der 8. in die 1. Klasse  – aber manchmal auch schon zwischendurch. Fachlehrer:innen übernehmen eine neue Klasse, die freigewordenen Stellen weitergezogener Kolleg:innen werden durch Neuankömmlinge besetzt und auch Schüler:innen oder ihre Eltern entscheiden sich zuweilen, dass ihr Kind an einer anderen Schule besser aufgehoben ist. Dieser Wechsel findet an den meisten Schulen in beide Richtungen statt – d.h. Kinder verlassen eine Klasse und es kommen neue Schüler:innen zu einer bestehenden Klassengemeinschaft dazu.

Manche dieser Wechsel oder Veränderungen gehen ganz leise vor sich, da schlüpft jemand in eine freigewordene Rolle, setzt sich an einen leerstehenden Platz, übernimmt ohne viel Aufhebens anstehende Aufgaben und passt die übernommenen Tätigkeiten dann Schritt für Schritt, fast unmerklich der eigenen Arbeitsweise und den eigenen Glaubenssätzen an. Und im Rückblick sind alle erstaunt, wie reibungslos das Ganze gelaufen und wie gut das Team neu zusammengesetzt ist. Aber es gibt auch die anderen, die lauten oder sogar schmerzhaft erlebten Wechsel, die stolpernden oder hakenden Veränderungen. Trotz sorgfältiger Auswahl-Prozesse kann es geschehen, dass ein Gefühl wie Sand im Getriebe entsteht, wenn die neue Person und das bestehende System aufeinandertreffen.

Im Rückblick auf viele solcher Situationen – der einen oder der anderen Qualität – möchte ich die Frage stellen, ob es nicht möglich ist, durch ein Verständnis dessen, was da geschieht, so vorausschauend mit diesen Situationen umzugehen, dass Übergänge ohne größere Schwierigkeiten von beiden Seiten bewältigt werden.

Ich meine, dass es einige Grundhaltungen gibt, die uns dabei helfen können, solche Wechselsituationen sinnvoll – im Sinne aller Beteiligten – zu gestalten: dazu gehört die Fähigkeit, gut zuzuhören gekoppelt mit dem Wunsch, verstehen zu wollen, was der oder die andere zu sagen hat. Es gehören Respekt und Wertschätzung für das Bestehende dazu, das den Ausgangspunkt für mögliche Veränderungen bilden. Und wir müssen uns immer wieder im vorurteilsfreien Beobachten als Grundlage für eine differenzierte Urteilsfindung üben. (Näheres dazu im Podcast)

Natürlich spielen auch persönliche Situationen und biografische Entscheidungen eine Rolle, wenn es darum geht, ob kritische Situationen gemeinsam gemeistert werden oder jede:r seinem oder ihrem eigenem Lebensweg eine neue Richtung geben will. Auch Abschiede gehören zum Leben dazu.

Hermann Hesses bekanntes Gedicht kann hier eine willkommene Anregung sein:

Stufen (Hermann Hesse)

Wie jede Blüte welkt und jede Jugend
Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,
Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.
Es muß das Herz bei jedem Lebensrufe
Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
In andre, neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.

Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
An keinem wie an einer Heimat hängen,
Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
Er will uns Stuf‘ um Stufe heben, weiten.
Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
Und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen,
Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.

Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
Uns neuen Räumen jung entgegen senden,
Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden…
Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!

Mehr dazu im #waldorflernt Podcast auf anchor.fm/waldorflernt

https://anchor.fm/waldorflernt/episodes/Abschied-und-Neustart–wertschtzen-und-verndern—auf-die-Haltung-kommt-es-an-e1oio5r/a-a8ki23b

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