Als erstes schaue ich “nur” einfach hin. Mein Blick wird schärfer und ich beobachte kleinste Details. Fasern Strukturen usw.
Nach dem Sichtwechsel verändern sich die Winkel der Pflanzen. Auch die Farben verändern sich ein wenig, da sich der Lichteinfall verändert hat.
Steh an diesem Punkt sogar auf, um die Veränderung aus der Nähe zu betrachten.
Muss feststellen, dass ich diese Pflanze mit Ihren Eigenheiten so noch nie gesehen habe.
Ich habe einen Papierlocher auf meinem Schreibtisch beobachtet. Vom ersten Standpunkt aus konnte man durch eine Öffnung an der Oberfläche des Lochers hindurchsehen bis auf die Schreibtischplatte. Vom zweiten Standpunkt konnte man durch diese Öffnung einen Blick auf das Innenleben des Lochers werfen.
Nur dieser banale Perspektivwechsel lässt ein völlig anderes Bild entstehen und Dinge sichtbar werden, die vorher nicht zu sehen waren. So könnte es auch bei der Wahrnehmung von Kindern durch verschiedene Menschen passieren, dass es verschiedenste Erkenntnisse und Beobachtungen gibt. Das spannende ist, jede einzelne ist real. Es gibt nicht nur eine Wahrheit.
Während dieses Experiments bemerkte ich, dass es mit einem Perspektivwechsel, der Art und Weise, wie das Subjekt bewertet und wahrgenommen wird, zu Veränderungen kam. Das von einer Seite gesehene Objekt sieht anders aus als auf der anderen Seite (in meinem Fall eine Blumenvase). Der Hintergrund, auf den mein Objekt beobachtet wird, ändert sich ebenfalls.
Es macht mir klar, dass bevor man eine vorschnelle Entscheidung trifft oder ein Urteil fällt, man das Objekt bzw. das Thema gut und aus jedem Blickwinkel, in jeder Perspektive und auf jedem Hintergrund beobachten muss.
Ich sitze und erblicke horizontal zu mir, in etwa 1,50 Meter Abstand, den Kerzenständer samt Kerze auf der Fensterbank. Mein konzentrierter Blick richtet sich intuitiv zunächst auf die Gestalt (bzw „Statur“). Mein erster Eindruck gilt dem Kerzenständer: Gerade ist er, etwa handlang senkrecht hoch, harmonisch wirkend in der Seitenansicht. Die Kerze ist etwa doppelt so hoch (zirka 40 cm). In meiner Wahrnehmung vereinen sich beide Objekte zu einem Gegenstand; sie erscheinen als Einheit.
Aus dieser Entfernung wirkt das Duo wie eine Fackel im Kleinformat oder ein Gladius auf mich.
Ich fokussiere nun den Blick allein auf den Kerzenständer. Die Gestalt wirkt in seiner Proportion insgesamt ausgeglichen, seine Dreigliedrigkeit vollendet diese Anschauung, der runde Standfuß (etwa 7 cm), der hölzerne Mittelteil und am oberen Ende eine Art Schale/ Teller (etwa 4 cm), in der die Kerze „versinkt“. Unterhalb der Schale verlängert sich diese (wie) mit einer Art umschließender Manschette als Anschluß. Beides ergibt eine Art Einheit – einem umgedrehten Hut ähnlich. Der Standfuß wirkt wie ein japanischer Gartenhut, dem man die Spitze abgeschnitten hat. Das Längen-Verhältnis der drei Elemente wird mir jetzt bewusst: 1/5 Messing, 3/5 Holz, 1/5 Messing. Bei näherer Betrachtung – aus etwa 30 cm – fokussiere ich nahezu „automatisch“ die Materialien des „Gegenstands” – ohne diesen zu berühren oder zu erfassen.
Es ist also reine Annahme: Standfuß und Schale/Teller sind aus etwas „stumpfem“ Messing („Patina-Effekt“), so meine Einschätzung, der Mittelteil könnte aus Kirschholz beschaffen sein. Eine vertikale, dunkelbraune, leichte Maserung ist in dem rost- bzw. nussfarbenen „Holz“ zu erkennen. Die Kerze ist mattiert, erinnernd an Honigfarbe. Sie ist neuwertig, ihr weißer Docht hängt faserig – wie ein alter Besen – waagerecht zur Seite geneigt.
Ich stelle mir wohlig vor, wie diese Kerze im Dunkeln brennt, was und wie sie ausstrahlen wird.
Nun wechsle ich die Perspektive: Ich betrachte das „Ensemble“ senkrecht von oben herab, ergo aus der „Vogelperspektive“. Dabei erblicke ich die Kerze von etwa 50 cm Abstand. Ich fixiere zunächst visuell konzentriert den Kerzendocht. Mir fällt auf, dass die Kerze nun in der Form eines zweidimensionalen Kreises erscheint, die Kerze hat ihre ursprüngliche Gestalt, Körperlichkeit, anscheinend verloren. Im diffusen Blickfeld wirkt sie mit den unscharfen Konturen von Schale/Teller und des Standfußes wie eine neu gefasste Scheibe aus drei Kreisen. Jetzt fokussiere ich Messing-Teller/-Schale.
Erstaunlich: Es bilden die Elemente Standfuß, Kerze und der abstehende Docht – mittels Unschärfe-Blick (relative Tiefenschärfe)- eine scheinbare Einheit und Form:
sie wirken auf mich wie eine Ballerina mit abstehenden Zopf-Haaren in honiggelbem Kleid.
Aus Erfahrung, mit Wissen, durch Annahmen bildet sich die Selbsterkenntnis bzw.
Selbsteinschätzung:
Jeder Gegenstand kann sich uns phänomenologisch offenbaren – Subjekt (Betrachter) und Objekt (Gegenstand) geben je nach Perspektive neuen Raum für Fantasie und Assoziationen. Das Reale der Dinge kann irreal, ideal werden – das Bewusstsein ändert seine Urteile, aus dem zunächst scheinbar eindimensionalen Wahrgenommenen werden erstaunliche, neue Bezüge geschaffen. Es liegen den Dingen Zauber inne: „Schläft ein Lied in allen Dingen, …”
Der Gegenstand meiner Betrachtung: eine Tonschale, die wie aus ca. 40 grünen Blättern zusammengesetzt ist, so dass verschiedene Öffnungen den Inhalt der Schale teilweise sichtbar werden lassen. In diesem Fall handelt es sich um ca. 12 Zitronen. Die Schale hat am Boden einen fast runden Durchmesser von ca. 14 cm. Oben an der Schale, da wo die Blätter aus einander fallen und in ihre Formen sehr unterschiedlich und bewegt erscheinen, hat die Schale einen Durchmesser von ca. 25 cm. Die Höhe der Schale beträgt, durch die unterschiedliche Ausformung der Blätter, in etwa 10 cm. Aussen hat die Schale eine grüne Glasur die eher dunkel ist und fast einen Stich ins bläuliche hat. die Innenseite hingegen ist in einem helleren Grün glasiert, welche einen hohen Gelbanteil hat. Die Farben sind, sowohl im Inneren als auch im Äusseren so aufgetragen, dass der Gesamteindruck der Schale noch lebendiger scheint. Auch sind sie Blattstrukturen, innen und außen (Gerippe und Verästelungen) plastisch im Ton sichtbar. Betrachtet man die Schale von der Seite, auf einem Tisch stehend etwas länger, wächst in mir das Gefühl von Geborgenheit, die verletzlichen, leuchtenden Früchte werden durch die Blätterschale zusammengehalten, laden aber auch, durch die nach obenhin aufblätternde Form, zum Zugreifen auf. Die Zitrone als Symbol für Frische und Vitamin C Spender wird durch die grüne Farbe der Schale noch verstärkt. Man bekommt Lust zuzugreifen. Egal von welcher Seite man diese Schale betrachtet, verändert sie sich immer wieder, wenn auch geringfügig und bekommt daher eine angenehme Lebendigkeit.
Betrachtet man die selbe Schale von Oben, bekommt alles eine hellere und wärmere Färbung, da man nun nicht mehr die äussere Farbe der Schale mitbekommt. Eine komplett neue Fantasie öffnet sich. Ich habe das Gefühl auf eine Sonnenblumenblüte zu schauen, was mein Gefühl von Sonne, Sommer und Wärme verstärkt.
Beim zweifachen Beschreiben dieser Schale bemerke ich bereits, wie die Betrachtungen durch meine Fantasie geprägt wird und wie sich ein Perspektivwechsel auf meine Beschreibung auswirkt.
Ein Schüler von Bertholt Brecht hat folgendes Experiment durchgeführt: ein Schauspieler sollte für eine halbe Stunde, möglichst ohne Gedanken und Bewegung auf einem Stuhl sitzen. Nach der halbstündigen Vorstellung, wurden die Zuschauer nach dem Gesehenen befragt. Das Ergebnis war ein Sammelsurium verschiedenster Geschichten. Jeder Zuschauer hat seine eigene Geschichte erlebt. Dies zeigt zwei Dinge. Zum einen, wie schwer es doch ist zu beobachten ohne ohne zu bewerten. Und zum anderen, welche Vielfalt und Fantasie jeder von uns mitbringt. Großartig!
Vor mir steht ein kleines Mikrophon, befestigt auf einem kleinen Ständer der drei Plasikfüße hat, auf meinem Schreibtisch vor dem Bildschirm. Das Mikro ist ist viereckig und steht frontal vor mir, so dass ich den Schriftzug “Hama” lesen kann, der am unteren Teil aufgedruckt ist. Ein Schalter ist darüber, am unteren Teil des Mikros, er steht auf “off”. Man erkennt zwischen den schwarzen Plastikquerstreifen das metallische Silber des Stoffes dahinter. Es wirkt nüchtern und funktional, eckig, starr und ein bisschen klobig. Ganz auf die Funktion ausgerichtet. Schaut man hin, blinzelt ein paar Mal und lässt die Gedanken fliegen, so steigen aber auch Erinnerungen an alte Revuefilme hoch. Bilder kommen mir in den Kopf – von mit Federboas und Paillettenkleidern geschmückten Filmdiven, die in solche Mikrophone hauchten “Happy birthday dear President…”, oder “Diamonds are girls best friend”. Ich wundere mich – wie etwas so nüchtern und technisch wirkendes, gleichzeitig so etwas Glamuröses an sich haben kann. Jetzt wechsle ich die Ansicht, ich setze mich um 90 Grad versetzt dazu. Ich schaue hin. Die Ansicht und die Form haben sich plötzlich völlig verändert! Es hat nichts Klobiges mehr an sich! Im Gegenteil, die ganze Form wirkt dynamisch, fast wie ein Tänzer. Das Mikro steht diagonal von links unten nach rechts oben zeigend auf den drei kleinen Plastikfüßchen, die sich wie tanzende Füße in alle Richtungen ausstrecken. Es neigt sich sanft nach rechts, wie ein Tangotänzer, der einen eleganten Schritt nach vorne macht. Die Schrift und der Schalter sind fast nicht mehr zu sehen und das ist gut. Alles wirkt jetzt in sich bewegt und schwingend.
Ich könnte ja einmal versuchen, dies in eine Menschenbetrachtung zu übertragen? Ich kann es mir vorstellen, dass das erste Bild, das ich von einem Menschen bekomme, längst nicht ausreichen wird, ihn zu beschreiben. So wie sich das Mikrophon von klobig zu elegant verwandeln kann, so kann mich ein Mensch immer wieder wieder aufs neue überraschen. Ich muss die Position wechseln, den Umraum, die Zeit, und plötzlich erfahre ich von ihm völlig neue, unerwartete Dinge. Meine eigenen Erinnerungen und Vorstellungen spielen bei der Wirkung, die er auf mich macht, ebenso eine starke Rolle. Ich sollte mich fordern, die Dinge aus verschiedenen Blickrichtungen zu betrachten, mich dabei selbst beobachten und die Dinge hinterfragen.
Freitagabend:
Ich sehe ein Set Krücken in der Ecke des Kellers, auf meinem Weg aus der Waschküche nach oben. Die Krücken sind ein Überbleibsel von einem Gelenkbruch des Fußes von unserem Sohn im Alter von ca. 12 Jahren. Heute wird er bald 19 und die Krücken sind immer noch da. Sie sind aus leichtem Metall, mit blauen Stoppen aus Kunststoff am unteren Ende und blauen Griffen am oberen. Man kann die Höhe durch kleine Metallnoppen je nach Körpergröße einstellen. Eigentlich könnten wir die Krücken einer Organisation spenden, denn wir brauchen sie nicht mehr. Mit diesem Gedanken verlasse ich den Keller und bereite mich auf meine morgige Fahrt für ein Wochenende mit Freunden vor.
Montagmorgen:
Ich schicke meinen Mann hinunter in den Keller, um die Krücken für mich zu holen. Durch einen unachtsamen Schritt kam ich am Samstagabend auf glatten Granit ins Rutschen und setzte so ungünstig auf dem Boden auf, dass ich nach dem Aufstehen höllische Schmerzen im rechten Fuß verspürte. Zuerst ging es noch mit Barfuß gehen und nach einigen Metern konnte ich den Fuß überhaupt nicht mehr belasten. Ohne meine Freunde wäre ich ein Notfall für den Rettungsdienst geworden.
Nach Untersuchungen im Krankenhaus stellte sich heraus, dass die blauen Flecken durch Prellungen und Dehnung der Fußbänder kamen. Von den Schmerzen ganz zu schweigen.
Ich erinnerte mich an die Krücken und sehnte mich nach ihnen. Von einem Augenblick zum anderen wurden die Krücken meine besten Freunde. Damit konnte ich den Fuß schonen und doch alleine den Tag bewältigen. Ohne sie wäre ich auf einem Bein durchs Haus gehumpelt. Ganz einfache Dinge, z. B. ein Glas Wasser holen, wurden unmöglich.
Das Geschehene veränderte meine Sichtweise auf diese Gegenstände. Man empfindet Mitleid oder Mitgefühl für Personen die diese Gegenstände benötigen und denkt nicht selbst davon betroffen sein zu können. Doch es kann passieren, dass durch ein Geschehen, das eigene Denken und Handeln sich verändert. Das man im nächsten Augenblick auf die Hilfe Anderer und deren Unterstützung angewiesen ist, weil man die einfachsten Dinge nicht mehr alleine bewältigen kann. Mit diesem Gedanken bewege ich mich mit den Krücken und bin dankbar.
Als Gegenstand meiner Betrachtung nahm ich meine Brille, die etwa 50 cm entfernt von mir auf dem Schreibtisch lag. Aus der Ferne betrachtet (diesmal mit meiner Ersatzbrille :-)), erschien mir meine Alltagsbrille als ganz normal. Ich konnte nichts Markantes erkennen, z.B. ob die Gläser zerkratzt sind oder schmutzig, dick oder dünn sind.
Als ich meine Alltagsbrille in die Hand nahm und von der Nähe aus betrachtete viel mir allerdings einiges auf: So nahm ich das Muster auf meinen Brillenbügeln seit langem mal wieder bewusst wahr und entdeckte zum ersten mal zwei braune Muster am Bügelende. Auch die Form der Brille wirkte durch ihre oval-runde Glasfassung beschwingt. Die Gläser zeigten einige Kratzer auf, waren ungeputzt und auch jetzt sah ich deutlich, dass die Gläser recht dick erschienen.
Was zeigt mir also eine Betrachtung aus der Nähe?
Gegenstände und auch Subjekte zeigen mir aus der Nähe betrachtet mehr Details und Feinheiten. Aus der Betrachtung und dem Erkennen kann ich weitere Maßnahmen einleiten z.B. was ich ggf. tun darf, damit sich etwas verbessert (z.B. Brille putzen).
Eine nähere Betrachtung ermöglicht es mir (inkl. einem vorhandenen Wissen) gewisse Rückschlüsse ziehen. Beispielsweise, wenn ich dicke Brillengläser sehe, kann hieraus ableiten, dass die Person kurzsichtig ist.
Was macht das diese Erfahrung mit mir?
Ein Gegenstand aus der Nähe betrachtet, ermöglicht es mir ihn in seinem wahren Zustand wahrzunehmen. Dies könnte ich auch übertragen auf den Menschen. Ein Mensch aus der Nähe betrachtet, zeigt einen Teil des Wesens, erkennbar an der Haltung, Mimik, Gestik etc. Um ihn jedoch noch tiefgreifender (also in seinem wahren Kern erkennen zu können) ist m.E. ausschlaggebend, wie der Mensch kommuniziert. D.h. was sagt dieser Mensch und wie sagt dieser Mensch etwas. Denn nur was sprachlich aus dem Menschen rauskommt, steckt lebend in ihm drinnen.
Vor mir auf dem Tisch steht eine Modellfigur eines weißen Haies. Ich blicke dem Hai direkt in die Augen und in seinen von messerscharfen, weißen Zahnreihen umgebenen rosafarbenen Rachen. Die Oberseite des Haies ist grau gefärbt. Diese graue Färbung wird von einer weißen Färbung abgelöst, die die Unterseite des Haies bedeckt. Rechts und links an den Flanken des Haies sehe ich zwei große Flossen. Auch auf dem Rücken des Haies steht eine große, graue Flosse senkrecht nach oben. Die Nase des Haies ist spitz, dann wird der Körper recht dick und Rund und läuft wieder spitz zum Ende hin zu. Das Ende des Haies besitzt eine halbmondförmige Schwanzflosse.
Perspektivwechsel:
Was hat sich verändert?
Nun sehe ich den Hai schräg von der linken Seite. Seine Zähne sind nicht mehr zu erkennen. Auch seinen weit aufgerissenen Schlund kann ich nicht mehr ausmachen. Allerdings sehe ich nun seine fünf Kiemen, die dicht vor der Seitenflosse sitzen und sich beinahe über die gesamte linke Seite ziehen. Auch sehe ich nun, dass er an seiner Bauchseite noch eine kleine Flosse besitzt. Außerdem noch eine kleine Rückenflosse kurz bevor seine Schwanzflosse beginnt.
Was macht das mit mir?
Nun, da ich den Hai nicht mehr frontal sehe und somit auch nicht mehr seine Zähne und seinen Rachen, wirkt er direkt weniger bedrohlich. Generell muss ich sagen, dass ich Haie nicht sonderlich bedrohlich finde, sondern eher sehr faszinierend und wunderschön, aber die Zähne können einen schon beunruhigen. Er wirkt nun ruhiger und entspannt auf mich. Ich stelle mir vor wie er langsam und entschleunigt durch kaltes, klares Wasser gleitet. Die ganze Erscheinung des Haies hat sich nur durch einen Perspektivwechsel von einer unruhigen und bedrohlichen Sichtweise in das genaue Gegenteil umgewandelt.
Ich denke das soll uns klar machen, dass es manchmal von Wichtigkeit ist seine Perspektive zu verändern. Wenn man vor einer Aufgabe steht, von der man glaubt sie nicht lösen zu können, oder einem bestimmten Problem, kann ein einfacher Perspektivwechsel viel bewirken. Durch ihn bekommt man neue Sichtweisen auf eine Situation, die einem neue Lösungswege eröffnet. Dies lässt sich auch prima auf den Beruf des Lehers/ der Lehrerin übertragen.
Ein nettes Experiment, daß ich gleich mehrmals durchgeführt habe, sowohl mit einem lokalen Perspektivwechsel, bei dem ich den Gegenstand einfach von einem anderen Ort aus betrachtet habe, als auch mit einem temporalen Perspektivwechsel, also das Betrachten des Gegenstandes zu einem anderen Zeitpunkt.
In beiden Fällen läßt sich bemerken, daß nach dem Wechsel der Perspektive Eigenschaften auffallen, die vorher nicht aufgefallen sind. Zumeist sind dies nur Kleinigkeiten wie Kratzer oder Dellen, Variationen im Farbverlauf, Flecken oder Unterschiede in der Oberflächenbeschaffenheit und ähnliches.
Interessanter ist jedoch, daß sich in beiden Fällen auch die eigene, innere Beziehung zu dem Gegenstand verändert. Es ist schwierig, zu beschreiben warum, aber die gleiche Tasse hat mir bei einer Betrachtung Anlaß gegeben, die Zähne zusammenzubeißen und mich gegen jeden Widerstand durchsetzen zu wollen und nur einen Tag später bei einer erneuten Betrachtung beinahe Tränen in die Augen getrieben. Solch extreme Unterschiede sind mir jedoch nur bei dem temporalen Perspektivwechsel aufgetreten.
Was macht das mit mir?
Es zeigt mir, daß das Betrachten desselben Objektes aus unterschiedlichen Perspektiven zumindest neue, zuvor noch nicht bemerkte Erkenntnisse liefern kann. Es zeigt mir aber auch, daß die Wirkung, die ein Gegenstand auf den*die Betrachter*in hat, sehr unterschiedlich sein kann und mit Sicherheit immer auch abhängig vom dem aktuellen Gemütszustand der*s Betrachter*in ist.
Diese Tatsache sollte man bei allen seinen Beobachtungen mit berücksichtigen und zumindest sich also doch darüber im klaren sein, keine vorschnellen Urteile zu fällen (falls überhaupt).
Und noch als Ergänzung: Man sollte sich selbst gönnen, alles ruhig mehrmals aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten (sowohl räumlich als auch zeitlich). Wer weiß, vielleicht erfüllt mich die gleiche Tasse eines Tages einmal mit großer Hoffnung für die Zukunft, oder so.
Wenn man sich solche Übungen bewusst vornimmt, fallen einem Dinge in der Umgebung bzw an den Gegenständen auf, die man zuvor nie wahrgenommen hat. Immer wieder wird mit bewusst wie wichtig und wertvoll es ist, sich Zeit zu nehmen um seine Umgebung genau zu betrachten.
Der Gegenstand ist immer noch der gleiche aber den Platz habe ich gewechselt. Dies bedeutet, dass ich den Gegenstand aus einer anderen Perspektive beobachtet habe. Beim zweiten Sehen dieses Gegenstandes von einer anderen Seite sind Begriffe und Ideen aufgetaucht , die mir beim ersten Schauen nicht aufgefallen sind.
Man denkt, man weiß bereits, wie der Gegenstand aussieht, den man betrachtet. Dennoch entdeckt man immer wieder neue Teile, neue Kerben, neue Formen. Durch den Perspektivenwechsel sieht man, was man vorher unter Umständen nicht mehr gesehen hat, allerdings auch Teile nicht, die man vorher sah. Von daher ist es wichtig, eine Sache/im Übertragenen Sinn auch einen Schüler/eine Schülerin, mit unterschiedlichen Blickwinkeln zu sehen. Das Bild, das man beim jeweiligen Betrachten hat, unterscheidet sich von dem, das sich einem nach dem Perspektivwechsel darbietet. Und auch dann bleiben Einzelteile verborgen.
Ich habe vor ca. zwei Wochen mit der 1. Nebenübung (Gedankenkontrolle) von Rudolf Steiner angefangen und bin daher gerade dabei, mir jeden Tag einen Gegenstand gedanklich anzuschauen. Diese Übung ist zwar etwas anders aufgebaut, erinnert mich jedoch stark daran. Bei der Übung merke ich bereits, wie stark es meinen Blickwinkel und meine Aufmerksamkeit für diesen Gegenstand verändert und mich aufmerksamer werden lässt. Für mich beinhalten diese Übungen immer zum einen den Aspekt der Selbstbildung und zum anderen dementsprechend der Selbstwirksamkeit, da ich im Verlauf der letzten Jahre deutlich bemerken konnte, wie es mir im privaten Umfeld und in pädagogischen Situationen immer leichter fällt, meine Perspektive noch einmal zu ‘verlassen’ und somit hoffentlich immer offener und aufmerksamer meiner Umwelt gegenüber zu treten.
Indem ich meine Aufmerksamkeit nur auf einen Gegenstand richte, merke ich wie ich viel ruhiger werde. Auch nehme ich immer mehr Details wahr. Im Alltag schaue ich die Dinge nicht so genau an. Es mehr ein wahrnehmen als ein richtiges sehen. Die Übung macht neugierig auf meine Umgebung. Ich frage mich, was ich alles übersehen habe. Trotzdem ist es anstrengend sich auf etwas so genau zu konzentrieren. Einfach auch, weil man es nicht gewohnt ist.
Ich betrachte auf dem Boden sitzend unseren Laminatfußboden. Direkt vor der Balkontür wird das Tageslicht so stark reflektiert, dass man weder die Farbe des Bodens noch die Maserung der Holzoptik erkennen kann. Wechsele ich nun meine Perspektive und stelle mich auf um so Zusagen von oben direkt drauf zu sehen, erkenne ich die starke Maserung der Holzoptik sowie den satten Braunton des Bodens.
Dies zeigt, dass uns manches schlichtweg verborgen bleiben kann und nur durch einen Perspektivwechsel zu erkennen ist.
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17 Comments
Eine Stroh-Pflanze
Als erstes schaue ich “nur” einfach hin. Mein Blick wird schärfer und ich beobachte kleinste Details. Fasern Strukturen usw.
Nach dem Sichtwechsel verändern sich die Winkel der Pflanzen. Auch die Farben verändern sich ein wenig, da sich der Lichteinfall verändert hat.
Steh an diesem Punkt sogar auf, um die Veränderung aus der Nähe zu betrachten.
Muss feststellen, dass ich diese Pflanze mit Ihren Eigenheiten so noch nie gesehen habe.
Ich habe einen Papierlocher auf meinem Schreibtisch beobachtet. Vom ersten Standpunkt aus konnte man durch eine Öffnung an der Oberfläche des Lochers hindurchsehen bis auf die Schreibtischplatte. Vom zweiten Standpunkt konnte man durch diese Öffnung einen Blick auf das Innenleben des Lochers werfen.
Nur dieser banale Perspektivwechsel lässt ein völlig anderes Bild entstehen und Dinge sichtbar werden, die vorher nicht zu sehen waren. So könnte es auch bei der Wahrnehmung von Kindern durch verschiedene Menschen passieren, dass es verschiedenste Erkenntnisse und Beobachtungen gibt. Das spannende ist, jede einzelne ist real. Es gibt nicht nur eine Wahrheit.
Während dieses Experiments bemerkte ich, dass es mit einem Perspektivwechsel, der Art und Weise, wie das Subjekt bewertet und wahrgenommen wird, zu Veränderungen kam. Das von einer Seite gesehene Objekt sieht anders aus als auf der anderen Seite (in meinem Fall eine Blumenvase). Der Hintergrund, auf den mein Objekt beobachtet wird, ändert sich ebenfalls.
Es macht mir klar, dass bevor man eine vorschnelle Entscheidung trifft oder ein Urteil fällt, man das Objekt bzw. das Thema gut und aus jedem Blickwinkel, in jeder Perspektive und auf jedem Hintergrund beobachten muss.
Ich sitze und erblicke horizontal zu mir, in etwa 1,50 Meter Abstand, den Kerzenständer samt Kerze auf der Fensterbank. Mein konzentrierter Blick richtet sich intuitiv zunächst auf die Gestalt (bzw „Statur“). Mein erster Eindruck gilt dem Kerzenständer: Gerade ist er, etwa handlang senkrecht hoch, harmonisch wirkend in der Seitenansicht. Die Kerze ist etwa doppelt so hoch (zirka 40 cm). In meiner Wahrnehmung vereinen sich beide Objekte zu einem Gegenstand; sie erscheinen als Einheit.
Aus dieser Entfernung wirkt das Duo wie eine Fackel im Kleinformat oder ein Gladius auf mich.
Ich fokussiere nun den Blick allein auf den Kerzenständer. Die Gestalt wirkt in seiner Proportion insgesamt ausgeglichen, seine Dreigliedrigkeit vollendet diese Anschauung, der runde Standfuß (etwa 7 cm), der hölzerne Mittelteil und am oberen Ende eine Art Schale/ Teller (etwa 4 cm), in der die Kerze „versinkt“. Unterhalb der Schale verlängert sich diese (wie) mit einer Art umschließender Manschette als Anschluß. Beides ergibt eine Art Einheit – einem umgedrehten Hut ähnlich. Der Standfuß wirkt wie ein japanischer Gartenhut, dem man die Spitze abgeschnitten hat. Das Längen-Verhältnis der drei Elemente wird mir jetzt bewusst: 1/5 Messing, 3/5 Holz, 1/5 Messing. Bei näherer Betrachtung – aus etwa 30 cm – fokussiere ich nahezu „automatisch“ die Materialien des „Gegenstands” – ohne diesen zu berühren oder zu erfassen.
Es ist also reine Annahme: Standfuß und Schale/Teller sind aus etwas „stumpfem“ Messing („Patina-Effekt“), so meine Einschätzung, der Mittelteil könnte aus Kirschholz beschaffen sein. Eine vertikale, dunkelbraune, leichte Maserung ist in dem rost- bzw. nussfarbenen „Holz“ zu erkennen. Die Kerze ist mattiert, erinnernd an Honigfarbe. Sie ist neuwertig, ihr weißer Docht hängt faserig – wie ein alter Besen – waagerecht zur Seite geneigt.
Ich stelle mir wohlig vor, wie diese Kerze im Dunkeln brennt, was und wie sie ausstrahlen wird.
Nun wechsle ich die Perspektive: Ich betrachte das „Ensemble“ senkrecht von oben herab, ergo aus der „Vogelperspektive“. Dabei erblicke ich die Kerze von etwa 50 cm Abstand. Ich fixiere zunächst visuell konzentriert den Kerzendocht. Mir fällt auf, dass die Kerze nun in der Form eines zweidimensionalen Kreises erscheint, die Kerze hat ihre ursprüngliche Gestalt, Körperlichkeit, anscheinend verloren. Im diffusen Blickfeld wirkt sie mit den unscharfen Konturen von Schale/Teller und des Standfußes wie eine neu gefasste Scheibe aus drei Kreisen. Jetzt fokussiere ich Messing-Teller/-Schale.
Erstaunlich: Es bilden die Elemente Standfuß, Kerze und der abstehende Docht – mittels Unschärfe-Blick (relative Tiefenschärfe)- eine scheinbare Einheit und Form:
sie wirken auf mich wie eine Ballerina mit abstehenden Zopf-Haaren in honiggelbem Kleid.
Aus Erfahrung, mit Wissen, durch Annahmen bildet sich die Selbsterkenntnis bzw.
Selbsteinschätzung:
Jeder Gegenstand kann sich uns phänomenologisch offenbaren – Subjekt (Betrachter) und Objekt (Gegenstand) geben je nach Perspektive neuen Raum für Fantasie und Assoziationen. Das Reale der Dinge kann irreal, ideal werden – das Bewusstsein ändert seine Urteile, aus dem zunächst scheinbar eindimensionalen Wahrgenommenen werden erstaunliche, neue Bezüge geschaffen. Es liegen den Dingen Zauber inne: „Schläft ein Lied in allen Dingen, …”
Der Gegenstand meiner Betrachtung: eine Tonschale, die wie aus ca. 40 grünen Blättern zusammengesetzt ist, so dass verschiedene Öffnungen den Inhalt der Schale teilweise sichtbar werden lassen. In diesem Fall handelt es sich um ca. 12 Zitronen. Die Schale hat am Boden einen fast runden Durchmesser von ca. 14 cm. Oben an der Schale, da wo die Blätter aus einander fallen und in ihre Formen sehr unterschiedlich und bewegt erscheinen, hat die Schale einen Durchmesser von ca. 25 cm. Die Höhe der Schale beträgt, durch die unterschiedliche Ausformung der Blätter, in etwa 10 cm. Aussen hat die Schale eine grüne Glasur die eher dunkel ist und fast einen Stich ins bläuliche hat. die Innenseite hingegen ist in einem helleren Grün glasiert, welche einen hohen Gelbanteil hat. Die Farben sind, sowohl im Inneren als auch im Äusseren so aufgetragen, dass der Gesamteindruck der Schale noch lebendiger scheint. Auch sind sie Blattstrukturen, innen und außen (Gerippe und Verästelungen) plastisch im Ton sichtbar. Betrachtet man die Schale von der Seite, auf einem Tisch stehend etwas länger, wächst in mir das Gefühl von Geborgenheit, die verletzlichen, leuchtenden Früchte werden durch die Blätterschale zusammengehalten, laden aber auch, durch die nach obenhin aufblätternde Form, zum Zugreifen auf. Die Zitrone als Symbol für Frische und Vitamin C Spender wird durch die grüne Farbe der Schale noch verstärkt. Man bekommt Lust zuzugreifen. Egal von welcher Seite man diese Schale betrachtet, verändert sie sich immer wieder, wenn auch geringfügig und bekommt daher eine angenehme Lebendigkeit.
Betrachtet man die selbe Schale von Oben, bekommt alles eine hellere und wärmere Färbung, da man nun nicht mehr die äussere Farbe der Schale mitbekommt. Eine komplett neue Fantasie öffnet sich. Ich habe das Gefühl auf eine Sonnenblumenblüte zu schauen, was mein Gefühl von Sonne, Sommer und Wärme verstärkt.
Beim zweifachen Beschreiben dieser Schale bemerke ich bereits, wie die Betrachtungen durch meine Fantasie geprägt wird und wie sich ein Perspektivwechsel auf meine Beschreibung auswirkt.
Ein Schüler von Bertholt Brecht hat folgendes Experiment durchgeführt: ein Schauspieler sollte für eine halbe Stunde, möglichst ohne Gedanken und Bewegung auf einem Stuhl sitzen. Nach der halbstündigen Vorstellung, wurden die Zuschauer nach dem Gesehenen befragt. Das Ergebnis war ein Sammelsurium verschiedenster Geschichten. Jeder Zuschauer hat seine eigene Geschichte erlebt. Dies zeigt zwei Dinge. Zum einen, wie schwer es doch ist zu beobachten ohne ohne zu bewerten. Und zum anderen, welche Vielfalt und Fantasie jeder von uns mitbringt. Großartig!
Vor mir steht ein kleines Mikrophon, befestigt auf einem kleinen Ständer der drei Plasikfüße hat, auf meinem Schreibtisch vor dem Bildschirm. Das Mikro ist ist viereckig und steht frontal vor mir, so dass ich den Schriftzug “Hama” lesen kann, der am unteren Teil aufgedruckt ist. Ein Schalter ist darüber, am unteren Teil des Mikros, er steht auf “off”. Man erkennt zwischen den schwarzen Plastikquerstreifen das metallische Silber des Stoffes dahinter. Es wirkt nüchtern und funktional, eckig, starr und ein bisschen klobig. Ganz auf die Funktion ausgerichtet. Schaut man hin, blinzelt ein paar Mal und lässt die Gedanken fliegen, so steigen aber auch Erinnerungen an alte Revuefilme hoch. Bilder kommen mir in den Kopf – von mit Federboas und Paillettenkleidern geschmückten Filmdiven, die in solche Mikrophone hauchten “Happy birthday dear President…”, oder “Diamonds are girls best friend”. Ich wundere mich – wie etwas so nüchtern und technisch wirkendes, gleichzeitig so etwas Glamuröses an sich haben kann. Jetzt wechsle ich die Ansicht, ich setze mich um 90 Grad versetzt dazu. Ich schaue hin. Die Ansicht und die Form haben sich plötzlich völlig verändert! Es hat nichts Klobiges mehr an sich! Im Gegenteil, die ganze Form wirkt dynamisch, fast wie ein Tänzer. Das Mikro steht diagonal von links unten nach rechts oben zeigend auf den drei kleinen Plastikfüßchen, die sich wie tanzende Füße in alle Richtungen ausstrecken. Es neigt sich sanft nach rechts, wie ein Tangotänzer, der einen eleganten Schritt nach vorne macht. Die Schrift und der Schalter sind fast nicht mehr zu sehen und das ist gut. Alles wirkt jetzt in sich bewegt und schwingend.
Ich könnte ja einmal versuchen, dies in eine Menschenbetrachtung zu übertragen? Ich kann es mir vorstellen, dass das erste Bild, das ich von einem Menschen bekomme, längst nicht ausreichen wird, ihn zu beschreiben. So wie sich das Mikrophon von klobig zu elegant verwandeln kann, so kann mich ein Mensch immer wieder wieder aufs neue überraschen. Ich muss die Position wechseln, den Umraum, die Zeit, und plötzlich erfahre ich von ihm völlig neue, unerwartete Dinge. Meine eigenen Erinnerungen und Vorstellungen spielen bei der Wirkung, die er auf mich macht, ebenso eine starke Rolle. Ich sollte mich fordern, die Dinge aus verschiedenen Blickrichtungen zu betrachten, mich dabei selbst beobachten und die Dinge hinterfragen.
Beschreibung eines Gegenstandes
In Raum und Zeit
Freitagabend:
Ich sehe ein Set Krücken in der Ecke des Kellers, auf meinem Weg aus der Waschküche nach oben. Die Krücken sind ein Überbleibsel von einem Gelenkbruch des Fußes von unserem Sohn im Alter von ca. 12 Jahren. Heute wird er bald 19 und die Krücken sind immer noch da. Sie sind aus leichtem Metall, mit blauen Stoppen aus Kunststoff am unteren Ende und blauen Griffen am oberen. Man kann die Höhe durch kleine Metallnoppen je nach Körpergröße einstellen. Eigentlich könnten wir die Krücken einer Organisation spenden, denn wir brauchen sie nicht mehr. Mit diesem Gedanken verlasse ich den Keller und bereite mich auf meine morgige Fahrt für ein Wochenende mit Freunden vor.
Montagmorgen:
Ich schicke meinen Mann hinunter in den Keller, um die Krücken für mich zu holen. Durch einen unachtsamen Schritt kam ich am Samstagabend auf glatten Granit ins Rutschen und setzte so ungünstig auf dem Boden auf, dass ich nach dem Aufstehen höllische Schmerzen im rechten Fuß verspürte. Zuerst ging es noch mit Barfuß gehen und nach einigen Metern konnte ich den Fuß überhaupt nicht mehr belasten. Ohne meine Freunde wäre ich ein Notfall für den Rettungsdienst geworden.
Nach Untersuchungen im Krankenhaus stellte sich heraus, dass die blauen Flecken durch Prellungen und Dehnung der Fußbänder kamen. Von den Schmerzen ganz zu schweigen.
Ich erinnerte mich an die Krücken und sehnte mich nach ihnen. Von einem Augenblick zum anderen wurden die Krücken meine besten Freunde. Damit konnte ich den Fuß schonen und doch alleine den Tag bewältigen. Ohne sie wäre ich auf einem Bein durchs Haus gehumpelt. Ganz einfache Dinge, z. B. ein Glas Wasser holen, wurden unmöglich.
Das Geschehene veränderte meine Sichtweise auf diese Gegenstände. Man empfindet Mitleid oder Mitgefühl für Personen die diese Gegenstände benötigen und denkt nicht selbst davon betroffen sein zu können. Doch es kann passieren, dass durch ein Geschehen, das eigene Denken und Handeln sich verändert. Das man im nächsten Augenblick auf die Hilfe Anderer und deren Unterstützung angewiesen ist, weil man die einfachsten Dinge nicht mehr alleine bewältigen kann. Mit diesem Gedanken bewege ich mich mit den Krücken und bin dankbar.
Als Gegenstand meiner Betrachtung nahm ich meine Brille, die etwa 50 cm entfernt von mir auf dem Schreibtisch lag. Aus der Ferne betrachtet (diesmal mit meiner Ersatzbrille :-)), erschien mir meine Alltagsbrille als ganz normal. Ich konnte nichts Markantes erkennen, z.B. ob die Gläser zerkratzt sind oder schmutzig, dick oder dünn sind.
Als ich meine Alltagsbrille in die Hand nahm und von der Nähe aus betrachtete viel mir allerdings einiges auf: So nahm ich das Muster auf meinen Brillenbügeln seit langem mal wieder bewusst wahr und entdeckte zum ersten mal zwei braune Muster am Bügelende. Auch die Form der Brille wirkte durch ihre oval-runde Glasfassung beschwingt. Die Gläser zeigten einige Kratzer auf, waren ungeputzt und auch jetzt sah ich deutlich, dass die Gläser recht dick erschienen.
Was zeigt mir also eine Betrachtung aus der Nähe?
Gegenstände und auch Subjekte zeigen mir aus der Nähe betrachtet mehr Details und Feinheiten. Aus der Betrachtung und dem Erkennen kann ich weitere Maßnahmen einleiten z.B. was ich ggf. tun darf, damit sich etwas verbessert (z.B. Brille putzen).
Eine nähere Betrachtung ermöglicht es mir (inkl. einem vorhandenen Wissen) gewisse Rückschlüsse ziehen. Beispielsweise, wenn ich dicke Brillengläser sehe, kann hieraus ableiten, dass die Person kurzsichtig ist.
Was macht das diese Erfahrung mit mir?
Ein Gegenstand aus der Nähe betrachtet, ermöglicht es mir ihn in seinem wahren Zustand wahrzunehmen. Dies könnte ich auch übertragen auf den Menschen. Ein Mensch aus der Nähe betrachtet, zeigt einen Teil des Wesens, erkennbar an der Haltung, Mimik, Gestik etc. Um ihn jedoch noch tiefgreifender (also in seinem wahren Kern erkennen zu können) ist m.E. ausschlaggebend, wie der Mensch kommuniziert. D.h. was sagt dieser Mensch und wie sagt dieser Mensch etwas. Denn nur was sprachlich aus dem Menschen rauskommt, steckt lebend in ihm drinnen.
Vor mir auf dem Tisch steht eine Modellfigur eines weißen Haies. Ich blicke dem Hai direkt in die Augen und in seinen von messerscharfen, weißen Zahnreihen umgebenen rosafarbenen Rachen. Die Oberseite des Haies ist grau gefärbt. Diese graue Färbung wird von einer weißen Färbung abgelöst, die die Unterseite des Haies bedeckt. Rechts und links an den Flanken des Haies sehe ich zwei große Flossen. Auch auf dem Rücken des Haies steht eine große, graue Flosse senkrecht nach oben. Die Nase des Haies ist spitz, dann wird der Körper recht dick und Rund und läuft wieder spitz zum Ende hin zu. Das Ende des Haies besitzt eine halbmondförmige Schwanzflosse.
Perspektivwechsel:
Was hat sich verändert?
Nun sehe ich den Hai schräg von der linken Seite. Seine Zähne sind nicht mehr zu erkennen. Auch seinen weit aufgerissenen Schlund kann ich nicht mehr ausmachen. Allerdings sehe ich nun seine fünf Kiemen, die dicht vor der Seitenflosse sitzen und sich beinahe über die gesamte linke Seite ziehen. Auch sehe ich nun, dass er an seiner Bauchseite noch eine kleine Flosse besitzt. Außerdem noch eine kleine Rückenflosse kurz bevor seine Schwanzflosse beginnt.
Was macht das mit mir?
Nun, da ich den Hai nicht mehr frontal sehe und somit auch nicht mehr seine Zähne und seinen Rachen, wirkt er direkt weniger bedrohlich. Generell muss ich sagen, dass ich Haie nicht sonderlich bedrohlich finde, sondern eher sehr faszinierend und wunderschön, aber die Zähne können einen schon beunruhigen. Er wirkt nun ruhiger und entspannt auf mich. Ich stelle mir vor wie er langsam und entschleunigt durch kaltes, klares Wasser gleitet. Die ganze Erscheinung des Haies hat sich nur durch einen Perspektivwechsel von einer unruhigen und bedrohlichen Sichtweise in das genaue Gegenteil umgewandelt.
Ich denke das soll uns klar machen, dass es manchmal von Wichtigkeit ist seine Perspektive zu verändern. Wenn man vor einer Aufgabe steht, von der man glaubt sie nicht lösen zu können, oder einem bestimmten Problem, kann ein einfacher Perspektivwechsel viel bewirken. Durch ihn bekommt man neue Sichtweisen auf eine Situation, die einem neue Lösungswege eröffnet. Dies lässt sich auch prima auf den Beruf des Lehers/ der Lehrerin übertragen.
Ein nettes Experiment, daß ich gleich mehrmals durchgeführt habe, sowohl mit einem lokalen Perspektivwechsel, bei dem ich den Gegenstand einfach von einem anderen Ort aus betrachtet habe, als auch mit einem temporalen Perspektivwechsel, also das Betrachten des Gegenstandes zu einem anderen Zeitpunkt.
In beiden Fällen läßt sich bemerken, daß nach dem Wechsel der Perspektive Eigenschaften auffallen, die vorher nicht aufgefallen sind. Zumeist sind dies nur Kleinigkeiten wie Kratzer oder Dellen, Variationen im Farbverlauf, Flecken oder Unterschiede in der Oberflächenbeschaffenheit und ähnliches.
Interessanter ist jedoch, daß sich in beiden Fällen auch die eigene, innere Beziehung zu dem Gegenstand verändert. Es ist schwierig, zu beschreiben warum, aber die gleiche Tasse hat mir bei einer Betrachtung Anlaß gegeben, die Zähne zusammenzubeißen und mich gegen jeden Widerstand durchsetzen zu wollen und nur einen Tag später bei einer erneuten Betrachtung beinahe Tränen in die Augen getrieben. Solch extreme Unterschiede sind mir jedoch nur bei dem temporalen Perspektivwechsel aufgetreten.
Was macht das mit mir?
Es zeigt mir, daß das Betrachten desselben Objektes aus unterschiedlichen Perspektiven zumindest neue, zuvor noch nicht bemerkte Erkenntnisse liefern kann. Es zeigt mir aber auch, daß die Wirkung, die ein Gegenstand auf den*die Betrachter*in hat, sehr unterschiedlich sein kann und mit Sicherheit immer auch abhängig vom dem aktuellen Gemütszustand der*s Betrachter*in ist.
Diese Tatsache sollte man bei allen seinen Beobachtungen mit berücksichtigen und zumindest sich also doch darüber im klaren sein, keine vorschnellen Urteile zu fällen (falls überhaupt).
Und noch als Ergänzung: Man sollte sich selbst gönnen, alles ruhig mehrmals aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten (sowohl räumlich als auch zeitlich). Wer weiß, vielleicht erfüllt mich die gleiche Tasse eines Tages einmal mit großer Hoffnung für die Zukunft, oder so.
Wenn man sich solche Übungen bewusst vornimmt, fallen einem Dinge in der Umgebung bzw an den Gegenständen auf, die man zuvor nie wahrgenommen hat. Immer wieder wird mit bewusst wie wichtig und wertvoll es ist, sich Zeit zu nehmen um seine Umgebung genau zu betrachten.
Der Gegenstand ist immer noch der gleiche aber den Platz habe ich gewechselt. Dies bedeutet, dass ich den Gegenstand aus einer anderen Perspektive beobachtet habe. Beim zweiten Sehen dieses Gegenstandes von einer anderen Seite sind Begriffe und Ideen aufgetaucht , die mir beim ersten Schauen nicht aufgefallen sind.
Man denkt, man weiß bereits, wie der Gegenstand aussieht, den man betrachtet. Dennoch entdeckt man immer wieder neue Teile, neue Kerben, neue Formen. Durch den Perspektivenwechsel sieht man, was man vorher unter Umständen nicht mehr gesehen hat, allerdings auch Teile nicht, die man vorher sah. Von daher ist es wichtig, eine Sache/im Übertragenen Sinn auch einen Schüler/eine Schülerin, mit unterschiedlichen Blickwinkeln zu sehen. Das Bild, das man beim jeweiligen Betrachten hat, unterscheidet sich von dem, das sich einem nach dem Perspektivwechsel darbietet. Und auch dann bleiben Einzelteile verborgen.
Ich habe vor ca. zwei Wochen mit der 1. Nebenübung (Gedankenkontrolle) von Rudolf Steiner angefangen und bin daher gerade dabei, mir jeden Tag einen Gegenstand gedanklich anzuschauen. Diese Übung ist zwar etwas anders aufgebaut, erinnert mich jedoch stark daran. Bei der Übung merke ich bereits, wie stark es meinen Blickwinkel und meine Aufmerksamkeit für diesen Gegenstand verändert und mich aufmerksamer werden lässt. Für mich beinhalten diese Übungen immer zum einen den Aspekt der Selbstbildung und zum anderen dementsprechend der Selbstwirksamkeit, da ich im Verlauf der letzten Jahre deutlich bemerken konnte, wie es mir im privaten Umfeld und in pädagogischen Situationen immer leichter fällt, meine Perspektive noch einmal zu ‘verlassen’ und somit hoffentlich immer offener und aufmerksamer meiner Umwelt gegenüber zu treten.
Indem ich meine Aufmerksamkeit nur auf einen Gegenstand richte, merke ich wie ich viel ruhiger werde. Auch nehme ich immer mehr Details wahr. Im Alltag schaue ich die Dinge nicht so genau an. Es mehr ein wahrnehmen als ein richtiges sehen. Die Übung macht neugierig auf meine Umgebung. Ich frage mich, was ich alles übersehen habe. Trotzdem ist es anstrengend sich auf etwas so genau zu konzentrieren. Einfach auch, weil man es nicht gewohnt ist.
Ich betrachte auf dem Boden sitzend unseren Laminatfußboden. Direkt vor der Balkontür wird das Tageslicht so stark reflektiert, dass man weder die Farbe des Bodens noch die Maserung der Holzoptik erkennen kann. Wechsele ich nun meine Perspektive und stelle mich auf um so Zusagen von oben direkt drauf zu sehen, erkenne ich die starke Maserung der Holzoptik sowie den satten Braunton des Bodens.
Dies zeigt, dass uns manches schlichtweg verborgen bleiben kann und nur durch einen Perspektivwechsel zu erkennen ist.